Gezielt oder fahrlässig Informationen verschwiegen?
Nach Einschätzung der FDP-Fraktion haben die verantwortlichen politischen Kräfte auch nach der Auswechslung der Klinik-Geschäftsführung die Situation um das Offenbache Klinikum „dramatisch falsch“ eingeschätzt. Dafür spreche der bewusste Verzicht auf ein dem Markterkundungsverfahren entsprechenden „Ideenwettbewerb“ im Sommer 2011, ebenso wie der „mit der Kommunalaufsicht „ nicht abgesprochene Abbruch des von dieser auferlegten Markerkundungsverfahrens“ im Oktober 2012. Nach Auffassung des FDP-Fraktionsvorsitzenden Oliver Stirböck spricht viel dafür, dass der neue Klinikdezernent Peter Schneider (Grüne) seine Handlungsoptionen maßlos selbst überschätzt habe und auf Basis „einer falschen Analyse der Lage mit dem Kopf durch die Wand wollte“. Mit einer umfassenden Anfrage will die FDP nun hinterfragen, ob der Magistrat etwa beim Abbruch des Markterkundungsverfahrens „gezielt oder fahrlässig für Entscheidungen der Stadtverordneten erforderliche Grundlagen verschwiegen hat“. Dabei bezieht sich die FDP auch auf unterlassene Informationspflichten über die laut Freien Wählern (Äußerungen des Vereinsvorsitzenden Schroeder auf der Mitgliederversammlung) offenbar im Vorfeld der Stadtverordnetensitzung vom 24. Oktober gegen über Magistratsmitgliedern angekündigte Verweigerung der Klinik-Kredite durch die Kommunalaufsicht. „Stimmt dies, ist das keine Petitesse, sondern widerspricht dem Recht aller Gemeindevertreter auf vollständige Informationen (z.B. VGH 8 TZ 815/00)“, so Stirböck. Zudem habe der Magistrat auch den faktischen Wert des Klinikums, offenbar in der Absicht das Erkundungsverfahrens abzubrechen, „grotesk schöngefärbt“ sowie die Gefahren einer Insolvenz wochenlang ignoriert oder verschwiegen.
Die ganze Handlungsweise des Magistrats hat nach Sicht der FDP das Vertrauen der Kommunalaufsicht in verlässliches und nachvollziehbares Handeln der Stadtpolitik nachhaltig beschädigt. Die Liberalen wollen daher sich mit der Anfrage ein Bild davon machen, wie es zu dieser Kette von Fehlentscheidungen und Fehlauskünften kommen konnte. Die Freien Demokraten erhofften sich von der Anfrage auch, dass der Magistrat künftig Warnhinweise ernster nehme und er umfassender informiere.
Der Fragenkatalog der FDP:
Informationspflichten zur Kreditverweigerung
1) Wann haben Oberbürgermeister und Klinikdezernent erstmals Auskunft erhalten, dass eine Genehmigung für Kredite zur Eigenkapitalstärkung des Klinikums nicht mehr erteilt wird?
2) Haben Oberbürgermeister und Klinikdezernent die Stadtverordneten darüber ohne schuldhaftes Verzögern informiert?
3) Laut Medienberichten wussten Koalitionspartner der FW bereits bei der Stadtverordnetensitzung am 24.10., dass der Regierungspräsident den damaligen Antrag zur Stärkung des Eigenkapitals des Klinikums in Höhe von 30 Millionen Euro ablehnt. Wussten also die zuständigen Magistratsmitglieder zu diesem Zeitpunkt Bescheid? Und wenn ja, wieso teilten diese ihre Information nur einzelnen Koalitionspartnern, nicht aber dem gesamten Parlament mit? Wie beurteilt der Magistrat dieses Vorgehen vor dem Hinblick auf das Recht aller Gemeindevertreter auf vollständige Informationen (z.B. VGH 8 TZ 815/00)?
Vorherige Kommunikation mit der Kommunalaufsicht zur Absicherung der Kredite
4) Schon mit der Haushaltsgenehmigung 2011 vom 19.07.2011 teilte der RP mit: „Die Stadt ist aufgrund ihrer erheblichen eingeschränkten Leistungsfähigkeit jedoch nicht mehr in der Lage, die Einrichtung (Klinikum) mit weiteren Haushaltsmitteln kurzfristig zu stützen oder gar dauerhaft zu subventionieren.“ Welche Maßnahmen hat der Magistrat nach dieser Mitteilung ergriffen, das städtische Sanierungskonzept bei der Kommunalaufsicht abzusichern?
5) Warum hat der Magistrat trotz der Warnungen des FDP-Antrags vom 12.01.12 2012 nicht hinreichend abgeklärt, ob und wie die von der Klinikleitung prognostizierten Verluste des Klinikums bis 2015 (rund 100 Mio. Euro) und danach 17 Millionen jährlich genehmigungsfähig sein können?
6) Warum hat den Magistrat die Nicht-Genehmigung weiterer Kredite für das Klinikum überrascht nachdem der Regierungspräsident in der Vergangenheit mehr als deutlich auf die desolate finanzielle Situation der Stadt in seinen Verfügungen hingewiesen hat?
Abbruch des Markterkundungsverfahrens
7) Der Regierungspräsident hatte am 26.1. das Markterkundungsverfahren verfügt. Warum unterblieb eine Absprache mit dem Regierungspräsidenten vor Abbruch des Markterkundungsverfahrens?
8) Auf welche schriftliche Stellungnahme der Kommunalaufsicht bezieht der Magistrat seine Behauptung, dass von Seiten des Regierungspräsidiums erhebliche rechtliche Bedenken für den Fall geäußert wurden, dass während des Markterkundungsverfahrens gleichzeitig Interesse am Grüttner-Modell geäußert wurden? Warum hat der Magistrat dies bis heute den Stadtverordneten nicht glaubhaft gemacht?
9) Für den Beschluss der Stadtverordnetenversammlung zur Aufhebung des Markterkundungsverfahren hat der RP in seiner Verfügung vom 24.09. geschrieben: „Nicht nachvollziehbar erscheint mir zudem Ihr Vorschlag, das Markterkundungsverfahren zu beenden.“ Wieso ist auf diesen überdeutlichen Hinweis nicht vor der Beschlussfassung in der Stadtverordnetenversammlung am 11.10. reagiert worden, obwohl offizielle Verfahrensbegleiter den Magistrat explizit auf die Verfügung und auf die Sinnhaftigkeit einer Rücksprache mit dem Regierungspräsidenten hingewiesen haben?
10) Warum hat laut Protokoll der Sitzung des Haupt- und Finanzausschuss der Klinikdezernent Peter Schneider behauptet: „Während des laufenden Markterkundungsverfahren dürfen hierüber aber keine Aussagen getroffen werden, da ansonsten die Kriterien – ergebnisoffen, fair, ernsthaft und diskriminierungsfrei – nicht mehr gewährleistet sind und Schadenersatzansprüche in 7-stelliger Höhe begründet bzw. ausgelöst werden können. Der Regierungspräsident und die beratenden Anwälte sehen das genauso“, während die Verfügung des Regierungspräsidenten vom 24.09. das Gegenteil aussagt?
11) Warum hat der Magistrat rechtliche Bedenken bei Fortsetzung der Markterkundungsverfahrens geltend gemacht, wo eine Kommunalverbundlösung immer ein Bestandteil des Verfahrens war, ein Verfahrensergebnis nicht bindend war und das Grüttner-Modell erkennbar lediglich in den nächsten Monaten nicht konkret verhandelt wird?
12) Warum hat der Magistrat verschwiegen, dass – wie es in der Einladung zum Verbundsitzungen hieß – mit der Teilnahme an den Arbeitssitzungen für den Kommunalverbund lediglich „das prinzipielle Interesse an dem vorliegenden Konzeptvorschlag“ verbunden“ ist, jedoch „keine Vorentscheidung für eine Teilnahme an einer Verbundlösung. Daher sind auch diejenigen herzlich eingeladen, die dem Konzeptvorschlag skeptisch oder kritisch gegenüber stehen.“ Hält der Magistrat vor dem Hintergrund dieser Tatsachen auch heute noch seine Information der Stadtverordneten für vollständig und ausgewogen?
13) Warum hat der Klinikdezernent das Parlament in der Sitzung am 11.10. nicht konkret über den mehr als ungewissen Stand der Absprachen mit dem Regierungspräsidenten bezüglich des Abbruchs des Markterkundungsverfahrens informiert?
14) Hat der Magistrat seiner nachträglichen Einschätzung nach der Forderung des Regierungspräsidenten voll entsprochen, bei einem Abbruch des Verfahrens eine Beschlussfassung auf Grundlage einer tragfähigen und unabhängigen Beurteilung“ zu garantieren (Verfügung des RP vom 24.9.)?
15) Ist der Magistrat immer noch der Auffassung, dass er im Vorfeld der Entscheidung vom 11.10 den Stadtverordneten die „maßgeblichen Rechtsgrundlagen und Folgewirkungen“ (RP vom 24.9.), etwa die mögliche Insolvenz, ausreichend aufgezeigt hat?
Wert der Klinikums
16) Warum wiederholen Magistratsmitglieder gebetsmühlenartig die Mär des Werts des Klinikums von 180 Mio. Euro nach der „Substanzwertbetrachtung“, nachdem das Klinikum möglicherweise für 20 Prozent des Werts an private Anbieter gehe, wo doch erkennbar das Klinikgebäude nur als Klinikum vermarktbar ist und daher der Regierungspräsident überzeugend ausführt, dass der Substanzwert „für eine zukunfts- und wirtschaftlichkeitsorientierte Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung (…) nicht hinreichend nachvollziehbar“ ist. Hält der Magistrat die bis heute fortgesetzte Verbreitung der Substanzwertbetrachtung und damit groben ökonomischen Unfugs in der Öffentlichkeit für eine rationale Informationsbasis für Stadtverordnete?
17) Warum informiert der Magistrat nicht darüber, dass das Gesamtfinanzvolumen der Angebote aus dem Markterkundungsverfahren erheblich höher ist als kommuniziert, es Insolvenzabwendungsgarantien und den zeitweisen Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen enthält, so dass sogar der grüne Stadtverordnete Tarek Al-Wazir der November-Sitzung ausweislich seiner Rede über den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen nicht informiert war.
18) Warum hält der Magistrat es für plausibel, dass die vom Klinikum selbst geschätzten, erforderlichen Investitionen signifikant niedriger liegen als die Prognosen aller anderen Marktanbieter?
Drohende Insolvenz
19) Warum hat der Klinikdezernent, in der Parlamentsdebatte am 11.10.2012 die Frage der FDP im Parlament unbeantwortet belassen, ob der Magistrat auf ein mögliches aufsichtsbehördliches Versagen einer Kreditgenehmigung zum Verlustausgleich des Klinikums und deren Folgewirkungen für das Klinikum vorbereitet sei?
20) Warum hat der Magistrat die Gefahr einer Insolvenz und weiterer Probleme im Zusammenhang mit Krediten der Sparkasse an das Klinikum offenbar erst nach dem Gespräch mit Finanzministerium und Regierungspräsidium am Montag 05.11. in seinem wahren Ausmaß erkannt?