Georg Schneider zum Frauenhausmangel in Offenbach

10.11.2020

Herr Stadtverordnetenvorsteher,
meine Damen und Herren,
Kolleginnen und Kollegen,


eigentlich wollte ich nicht zum Thema reden, aber den Beitrag des Herrn Münd (AfD) möchte ich so nicht als stehen lassen als einzigen männlichen Beitrag.
Zunächst einmal möchte ich klar zum Ausdruck bringen, dass ich die Initiative der SPD-Fraktion gutheiße.
Sie stößt eine notwendige und längst überfällige Diskussion zum Thema Gewalt in Familien, häuslicher Gewalt, Gewalt gegen Kinder, an.
Sie gibt den Anstoß für eine Debatte, die in Kenntnis der Istanbul-Konvention und deren Gesetzeskraft in Deutschland seit Februar 2018 noch nicht die erforderliche Fahrt aufgenommen hat, die der Problematik gerecht werden sollte.
Ich werde nicht falsch liegen, wenn ich die mangelnde Befassung mit dem Thema dem Umstand zuweise, dass in zurückliegenden Zeiten klammer Haushaltskassen andere Prioritäten gesetzt wurden. Die betroffene Bevölkerung ist nun mal nicht gerade wahlentscheidend.
Deutschland hat sich mit dem Inkrafttreten auf allen staatlichen Ebenen verpflichtet, alles dafür zu tun, um Gewalt insbesondere gegen Frauen zu bekämpfen, Betroffenen Schutz und Unterstützung zu bieten und Gewalt zu verhindern.
Das bedeutet, auch die Kommune Offenbach am Main ist gefordert, Maßnahmen zu prüfen und geeignete Maßnahmen umzusetzen.
Die SPD will erkannt haben, dass es zu wenig geeigneten Schutzraum und Wohnungsangebote für die Betroffenen in Offenbach gibt.
Das mag sein, ich möchte insoweit aber einer Bestands- und Bedarfsanalyse, wie sie der Änderungsantrag vorsieht und den ich daher für besser halte, nicht vorgreifen.
Der Antrag der SPD-Fraktion zielt darauf ab, eine Unterkunft pro 10000 Einwohner als Schutzunterkunft für Opfer häuslicher Gewalt zur Verfügung zu stellen – eine Art Inzidenzrechnung – und die GBO zu verpflichten, Wohnungen vorzuhalten.
Artikel 23 – Schutzunterkünfte lautet:
Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen, um die Einrichtung von geeigneten, leicht zugänglichen Schutzunterkünften in ausreichender Zahl zu ermöglichen, um Opfern, insbesondere Frauen und ihren Kindern, eine sichere Unterkunft zur Verfügung zu stellen und aktiv auf Opfer zuzugehen.
Ich finde den Antrag der SPD gut gemeint, aber als Hilfe für die Zielgruppe zu kurz gedacht.
Ich zitiere aus der Verlautbarung des Bundesministeriums (für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) zum Inkrafttreten der Konvention am 1.2.2018:
„Die 81 Artikel der Istanbul-Konvention enthalten umfassende Verpflichtungen zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, zum Schutz der Opfer und zur Bestrafung der Täter und Täterinnen.
Die Konvention zielt damit zugleich auf die Stärkung der Gleichstellung von Mann und Frau und des Rechts von Frauen auf ein gewaltfreies Leben.“
Jawohl: 81 Artikel und der SPD-Antrag bezieht sich nur auf einen einzigen. Gut, es soll ein Anfang sein.
Die eine oder andere Schutzunterkunft mehr würde nicht benötigt, wenn parallel dazu Maßnahmen zur Prävention einhergehen würden, Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung und vor allem Bildung, geeignete gesetzgeberische und sonstige Maßnahmen, wie es in der Konvention heißt.
Hier fehlt es an Vielem, das Offenbach nicht leisten kann, sondern der Gesetzgeber gefordert ist.
Ich möchte Ihnen hierzu ein aktuelles Beispiel aus meiner Praxis als Fachanwalt für Familienrecht darstellen, das bestehende Mängel erkennen lässt.
Da gibt es ein nicht verheiratetes Elternpaar mit Kindern, deren Paarbeziehung für den einen oder anderen so abgekühlt ist, dass sich ein Elternteil dazu entschließt, sich vom Partner zu trennen.
Keiner will die gemeinsame Wohnung verlassen, und schon gar nicht ohne die Kinder.
Bis dahin war das ein Fall für den allgemeinen Wohnungsmarkt.
Für Eheleute wäre dies ein Fall des § 1361 b BGB, der Zuweisung der Ehewohnung bei Getrenntleben. Gilt nur für Verheiratete.
Für das nicht verheiratete Elternpaar, das sich nicht einigen kann, wird die Sache ab jetzt eine Sache des Gewaltschutzes, denn der die gemeinsame Wohnung begehrende Elternteil muss feststellen, dass er richterliche Hilfe nur über das Gewaltschutzgesetz in Aussicht hat.
Und weil das nichts wird, weil es in diesem speziellen Fall am Nachweis der häuslichen Gewalt mangelt, geht die Frau mit den Kindern ins Frauenhaus.
Nach Frankfurt wohlgemerkt wegen der Nähe zu ihrer Arbeitsstelle.
Es folgt ein monatelanger, die Familie völlig zerreißender, die Kinder traumatisierender Streit um Sorgerecht, Umgangsregelungen, etc.
Viel Arbeit für das örtliche Jugendamt.
Aufatmen bei der Offenbacher Justiz, die für die Folgeverfahren nicht mehr zuständig ist.
Wenn ich Ihnen diesen realen Fall erzähle, möchte damit zum Ausdruck bringen, dass die Bereitstellung von Schutzraum unter bestimmten Umständen, die die Konvention gerade verbessern will, gar nicht gebraucht würde.
Und wir müssen hier auch regional denken, dürfen Betroffene aus dem Umland nicht abweisen und den Bedarf mit den Nachbarkommunen abstimmen.
Meines Erachtens wäre vielen Familien, Frauen und Kindern geholfen, wenn sie ein Wohnungsangebot schon bei Äußerung des Trennungswunsches wahrnehmen könnten. Also schon außerhalb der Gewaltvorwürfe oder des Entstehens von Gewalt.
Aber dann kommen wir wieder zur Inzidenz, die dann wohl extrem steigen würde. Und wer sollte so viel Wohnraum vorhalten?
Ich verweise auf Artikel 8 der Konvention: (Finanzielle Mittel)
Die Vertragsparteien stellen angemessene finanzielle und personelle Mittel bereit für die geeignete Umsetzung von ineinandergreifenden politischen und sonstigen Maßnahmen sowie Programmen zur Verhütung und Bekämpfung aller in den Geltungsbereich dieses Übereinkommens fallenden Formen von Gewalt, einschließlich der von nichtstaatlichen Organisationen und der Zivilgesellschaft durchgeführten.
Hieran fehl es doch in vielen Bereichen und daran kann eine Schutzunterkunft pro 10000 Einwohner auch nichts ändern.
Bei den Mitteln ist der Bund als Vertragspartner der Konvention gefordert!
Schauen Sie in Artikel 31
Die Vertragsparteien treffen im Einklang mit dem internen Recht die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass es geeignete Mechanismen für eine wirksame Zusammenarbeit zwischen allen einschlägigen staatlichen Stellen, einschließlich der Justiz, Staatsanwaltschaften, Strafverfolgungsbehörden, lokalen und regionalen Behörden, und nichtstaatlichen Organisationen und sonstigen einschlägigen Organisationen und Stellen beim Schutz und der Unterstützung von Opfern und Zeuginnen und Zeugen aller in den Geltungsbereich dieses Übereinkommens fallenden Formen von Gewalt gibt.
Ich sage Ihnen: „Fehlanzeige!“ oder mindestens stark unterentwickelt.
Beide vorliegenden Anträge haben im Sinn, einen Beitrag zur Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu leisten.
Ich sehe, auch was die beiden vorliegenden Anträge betrifft, beide Geschlechter in voller Verantwortung.
Sie deuten das im SPD Antrag an, wenn Sie von Betroffenen häuslicher Gewalt schreiben, „insbesondere Frauen“.
Ja, es gibt Täter und Täterinnen, aber es steht außer Frage, dass Frauen und Mädchen sehr viel häufiger Opfer schwerer Formen von Gewalt werden, einer größeren Gefahr von geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt sind als Männer.
Am schlimmsten ist die Tatsache, dass Kinder, Mädchen wie Jungen, Opfer häuslicher Gewalt sind oder darunter leiden, dass sie Zeuginnen und Zeugen von Gewalt in der Familie werden.
Ich will das nicht überbewerten und auch nicht falsch verstanden werden, aber es gibt Benachteiligungen von Männern und Jungen in den Bereichen Bildung, Familienrecht oder auch im Gesundheitsbereich, bei der Darstellung in den Medien.
Hier helfen keine weiteren Schutzunterkünfte, sondern Bildung, Bildung, Bewusstseinsbildung!
Daran müssen wir arbeiten, Kolleginnen und Kollegen.
Und deshalb sollten wir alle an der Umsetzung der Instanbul-Konvention mitarbeiten und einem der Anträge zustimmen.
Ich halte den Änderungsantrag für den Besseren.
Unwillige Herren der Schöpfung sehe ich hier im Saal nicht.
Wenn dennoch einige meinen, sie könnten sich beiden Anträgen enthalten, spende ich diesen Trost. Am 19.11.2020 ist Internationaler Männertag.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit