Oliver Stirböck, MdL zum Hessischen Brexit-Übergangsgesetz
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Der europäische Gedanke ist zu groß für eine kleingeistige, kleinkarierte Debatte. … Europa sollte uns jedenfalls ein gemeinsames Signal und ein gemeinsames Vorgehen wert sein.
Das war mein Credo in der ersten Lesung des Brexit-Übergangsgesetzes. Die Freien Demokraten begrüßen, dass nun unser damaliger Dringlichkeitsantrag mit einer kleinen redaktionellen Glättung zum gemeinsamen Antrag von Koalition und einigen Oppositionsparteien geworden ist. Damit sichern wir einerseits, dass die Landesregierung im Europaausschuss über die Vorbereitung eines No-Deal-Szenarios berichten kann. Andererseits ist es bei allen politischen Unterschieden in der Frage der Ausrichtung des vereinigten Europas das von uns erhoffte starke politische Zeichen der hessischen Landespolitik für ein starkes Europa. (Beifall Freie Demokraten)
Kurz vor den Europawahlen ist diese Gemeinsamkeit, wie ich finde, keine Selbstverständlichkeit. Diese Gemeinsamkeit zeigt, dass die große Mehrheit in diesem Hause verstanden hat, dass wir die Europadebatte nicht den Europahassern überlassen dürfen. Was passiert, wenn sich die politische Klasseorientierungslos in taktischem Klein-Klein verhakt, sieht man beispielsweise und beispielhaft in Großbritannien. Die fehlende Linie der Tories und die fehlende Haltung von Labour haben das britische Desaster erst möglich gemacht.
(Beifall Freie Demokraten)
Auch 31 Tage vor Ablauf der Frist ist alles und auch nichts möglich. Die Liberaldemokraten in Großbritannien setzen sich schon seit Langem für ein zweites Referendum ein. Mit der gestrigen Entscheidung von Labour für ein zweites Brexit-Referendum steigt die Chance, dass Großbritannien vielleicht doch in der Union bleibt oder zumindest der Austritt verschoben wird. Eine Verschiebung macht aber nur dann Sinn, wenn klar ist, welches Ziel diese Verschiebung hat: eine Abstimmung über den May-Brexit, über einen anderen Brexit oder über den Ausstieg vom Brexit – wir wissen es nicht. Aufschieberitis hat oft etwas mit Verdrängung von Realitäten zu tun. Selten löst sie Probleme.
(Beifall Freie Demokraten)
Beunruhigend aus Sicht der Freien Demokraten: Es gibt im Unterhaus immer noch keine klare Mehrheit für ein bestimmtes Szenario. Selbstverständlich werden wir Freie Demokraten dem Brexit-Übergangsgesetz zustimmen, das das geordnete Ausscheiden flankieren soll.
Sehr geehrter Herr Bolldorf, es hat hier auch keine Blockadehaltung der Europäischen Union gegeben, sondern eine Verhandlung der EU mit einer gewählten britischen Regierung. Die EU kann nichts dafür, dass Großbritannien zurzeit politisch etwas desorientiert ist. Aber wir wollen ein ungeordnetes Ausscheiden vermeiden, allerdings nicht um jeden Preis. Das Karfreitagsabkommen muss geachtet werden, beispielsweise die Rechte der EU-Bürger in Großbritannien müssen gesichert werden.
(Beifall Freie Demokraten, vereinzelt CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Unabhängig von der Frage von Deal oder No Deal sind wir gut beraten, alles dafür zu tun, Europa besser zu machen. Europa braucht mehr Europa. Europa muss größer denken. Das will ich an einem Beispiel deutlich machen, das für Hessen von großer Bedeutung ist. Die Brexit-Debatte ist eine Chance, die Kapitalmarktunion dynamischer als bisher voranzubringen.
Nur wenige Maßnahmen zur Kapitalmarktunion sind bisher umgesetzt. Es fehlt dabei erkennbar an Schwung. Zwar haben Brexit-bedingt schon jetzt rund 50 Finanzdienstleister den EU-Hauptsitz nach Frankfurt gelegt. Es sollten aber nicht nur die Hauptquartiere kommen, sondern auch die Arbeitsplätze. Stand jetzt verlässt der größte Kapitalmarkt der EU die Union. 80 % der Finanzdienstleistungen kommen aus UK. Deshalb ist es gerade jetzt für den Standort Hessen wichtig, den EU-27-Kapitalmarkt zu stärken. Die fehlende Konvergenz in der EU ist ein Ansiedlungshindernis für Dienstleister aus Drittstaaten. Einheitliche Regeln brauchen wir auch, um im globalen Kapitalmarkt richtig aufzutreten. Starke Standards sind ein positiver Wettbewerbsfaktor für den Standort Hessen.
(Beifall Freie Demokraten)
Nutzen wir die Chance, die Region Frankfurt wirklich zur Finanzhauptstadt Europas zu machen.
(Beifall Freie Demokraten)
Wenn sich alle Kräfte in der Europäischen Union, die fachlich den Brexit-Deal vorbereitet haben, wenn das Thema Brexit irgendwann abgearbeitet ist, für ein stärkeres Europa engagieren, dann bringen wir Europa gemeinsam voran. Machen wir Europa wieder so attraktiv, dass die Pro-Europäer die Volksabstimmungen auch einmal wieder gewinnen. Machen wir Europa wieder so attraktiv, dass vielleicht auch wieder jemand der Union beitritt. Nutzen wir Europas Chancen, und machen wir Europa groß. Das macht die Populisten klein.