Rede von Oliver Stirböck, MdL zum Thema Brexit und zur Zukunft Europas
Präsident Boris Rhein:
Vielen Dank, Herr Abg. Utter. – Ich erteile das Wort Herrn Abg. Stirböck von der FDP-Fraktion.
Oliver Stirböck (Freie Demokraten):
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch manche Pro-Europäer empfinden den Brexit als eine Befreiung von einem Land, das die Europäische Union in ihrer Entwicklung oftmals auch gebremst hat. Diese Menschen sehen das Hessische Brexit-Übergangsgesetz daher emotionslos oder sogar mit klammheimlicher Freude.
Aber auch wenn die Briten immer ein anstrengender, herausfordernder Verhandlungspartner waren, auch wenn die britischen Verhältnisse derzeit Zweifel an der politischen Klasse des Landes aufkommen lassen: Für uns Freie Demokraten verlässt ein Kernbestandteil Europas, das Mutterland der modernen Demokratie und des Parlamentarismus die Union. Das ist mehr als nur ein kleiner Einschnitt in der Geschichte der europäischen Einigung, es ist ein verheerender Rückschritt.
(Beifall Freie Demokraten und vereinzelt CDU)
Für uns Freie Demokraten zumal; denn während andernorts die Pressefreiheit in Gefahr gerät, Richter aus dem Amt gedrängt werden, von einer illiberalen Demokratie schwadroniert wird oder auch von Failed States gesprochen werden muss, geht mit Großbritannien – trotz aller Irrungen und Wirrungen – ein Land mit einem geordneten Staatswesen, es geht einer unserer wichtigsten Verbündeten für eine marktwirtschaftliche Grundordnung,
(Beifall Freie Demokraten)
und es geht ein wichtiger Handelspartner unseres Bundeslandes.
Auch wenn wir heute sehr technische Fragen des Brexit-Übergangs beraten, kann uns der Grund für unsere heutige Beratung nicht unberührt lassen. Es ist zumindest ein Warnschuss für die Europäische Union, den wir unabhängig von unserer politischen Verortung ernst nehmen müssen. Ebenso sollten wir kritisch hinterfragen, ob nicht auch mancher nationale Alleingang Deutschlands die antieuropäischen Fliehkräfte verstärkt hat.
(Beifall Freie Demokraten)
Wir Freie Demokraten begrüßen das Hessische Brexit-Übergangsgesetz. Der europäische Gedanke ist zu groß für eine kleingeistige, kleinkarierte Debatte. Heute berät der Hessische Landtag das Gesetz in erster Lesung. Dazu hat es 2018 Regierungsanhörungen gegeben. Verwunderlich ist daher, dass die Regierungsfraktionen von CDU und GRÜNEN das Gesetz einbringen, nicht die Regierung. Offenkundig wollen die Regierungsfraktionen angesichts der auch von Herrn Utter eben angesprochenen drängenden Zeit auf eine Anhörung im Europaausschuss verzichten und stattdessen auf die Regierungsanhörung verweisen.
Der Regelungsgehalt des Hessischen Brexit-Übergangsgesetzes ist überschaubar. Die §§ 1, 2 und 3 entsprechen den §§ 1, 2 und 4 des gerade vom Bundestag beschlossenen Brexit-Übergangsgesetzes. Das hessische Gesetz leidet aber unter dem gleichen Problem wie das Bundesgesetz. Die Regelungen beziehen sich auf den im Austrittsübereinkommen festgelegten Übergangszeitraum. Alle Zeichen aus Großbritannien deuten aber daraufhin, dass die Verhandlungsergebnisse zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich Makulatur sind. Es ist daher zu befürchten, dass auch das heutige Gesetz Makulatur ist. Daher brauchen wir auch für Hessen ein No-Deal-Szenario.
(Beifall Freie Demokraten)
Es kann nicht ernsthaft bestritten werden: Ein No Deal zeitigt negative Auswirkungen. Der No Deal betrifft viele Unternehmen: Unternehmen, die sich auf dem britischen Markt betätigen oder Standorte dort unterhalten, Unternehmen, die auf Zulieferungen britischer Unternehmen angewiesen sind. Die Landesregierung hat zur Vorbereitung des No Deal mehrere Runden mit Unternehmen und Verbänden durchgeführt, die ich auch gar nicht kritisieren will, aber von denen Teilnehmer berichteten, sie seien Alibiveranstaltungen gewesen. Sie zeigen immerhin Problembewusstsein und guten Willen, ebenso wie die Broschüren, von denen Sie, Herr Utter, eben gesprochen haben. Großunternehmen scheinen auch gut vorbereitet zu sein; der Mittelstand sieht oft noch Fragezeichen.
Ungelöste Probleme zeigen sich auch in Bereichen, die gerade Hessen betreffen. Die Probleme zeigen sich etwa beim Flugverkehr; denn wer in der EU ungehindert fliegen will, muss nach den Regelungen von Ownership und Control wenigstens zu 51 % europäischen Anteilseignern gehören. Hier haben Wiesbaden und Berlin in Brüssel nicht den erforderlichen Druck für eine Übergangsregelung aufgebracht – von Fragen rund um Passagier- und Frachtprozesse, Verzollungs- und Verkehrsrechte gar nicht zu sprechen.
Die Probleme zeigen sich auch bei bestimmten Wertpapierdienstleistungen, bei denen perspektivisch eine Unsicherheit bleibt, ob die Bank Leistungen erbringen soll und damit gegen Recht verstößt oder nicht erbringen soll und gegebenenfalls schadenersatzpflichtig wird, oder auch beim CCP-Clearing betreffend Zinsswaps.
(Beifall Freie Demokraten)
Für uns steht zudem fest: Gerade nach dem Brexit wird für Hessen das Projekt der Kapitalmarktunion wichtiger denn je werden.
Wir Freie Demokraten haben heute einen Antrag eingebracht, der im Europaausschuss mit dem Gesetzentwurf beraten werden kann. Dann kann die Landesregierung auch über ihre Vorbereitung für das No-Deal-Szenario berichten. In jeder Krise steckt auch immer eine Chance. Die Möglichkeiten für Hessen und für das Rhein-Main-Gebiet als internationale Region Deutschlands – wie es der Wirtschaftsminister formuliert – hat die Landesregierung genutzt. Al-Wazir war ja nahezu im wahrsten Sinne des Wortes zu Lande, zu Wasser und in der Luft für den Standort tätig.
(Beifall Freie Demokraten, vereinzelt Heiterkeit und Beifall CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
– Ja, es kommt noch: Mein nordrhein-westfälischer Kollege von den Freien Demokraten im Landtag fand das mit den Interviews im Flugzeug etwas overdosed. Er sprach eher von Showbildern. Aber zumindest kann man Ihnen, Herr Al-Wazir, nicht nachsagen, dass das Land nichts gemacht hätte, um Unternehmen aus aller Welt hier anzuziehen.
(Beifall Freie Demokraten, vereinzelt CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Trotz allen Standortmarketings: Das Ziel hessischer und deutscher Politik muss immer der Verbleib oder die Rückkehr Großbritanniens in die europäische Familie sein. Den Gegnern des europäischen Gedankens, die sich auch hier in diesem Parlament finden, hätte Guido Westerwelle, wenn er sich noch parlamentarisch mit ihnen hätte auseinandersetzen müssen, entgegengesetzt: Ja, Europa hat auch einen Preis; aber Europa hat auch einen Wert, meine sehr geehrten Damen und Herren.
(Beifall Freie Demokraten, vereinzelt CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)
Einige Parteien in diesem Hause wünschen sich Europa als Fiskalunion mit einer stärkeren Umverteilung zwischen den Staaten. Andere – dazu gehören wir – setzen mehr auf strikte Haushaltsdisziplin in allen Mitgliedstaaten. Aber eine große Mehrheit der Fraktionen von der Linkspartei bis zur Union eint die Überzeugung, dass Europa mehr ist als nur ein ökonomisches Projekt. Ja, Großbritannien ist ein wichtiger Handelspartner der hessischen Unternehmen. Aber Europa ist mehr. Europa ist das viel beschworene Friedensprojekt. Europa ist aber auch Freiheitsprojekt, für das wir gemeinsam kämpfen sollten.
(Beifall Freie Demokraten, vereinzelt CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)
Bei allen Unterschieden zwischen den Europaanhängern in diesem Parlament über die künftige Europapolitik und über einzelne Maßnahmen beim Brexit sollten wir klarmachen, dass die europäische Tür für Großbritannien weiter offensteht. Wir begrüßen Ihren Gesetzentwurf. Nehmen Sie unsere Gedanken ebenfalls mit. Europa sollte uns jedenfalls ein gemeinsames Signal und ein gemeinsames Vorgehen wert sein. – Herzlichen Dank.
(Beifall Freie Demokraten, vereinzelt CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)
Präsident Boris Rhein:
Vielen Dank, Herr Abg. Stirböck. Das war Ihre erste Rede hier in diesem Hause. Wir gratulieren ganz herzlich.
(Allgemeiner Beifall)
Als nächsten Redner rufe ich Herrn Abg. Bolldorf, Fraktion der AfD, auf. Herr Bolldorf, Sie haben das Wort.